Die Zauberflöte

Communication proposée lors d’une journée de formation continue avec des professeurs d’allemand du secondaire

Einführung

Mozarts Zauberflöte [1] ist mit seinem Requiem das letzte Werk, was er komponiert hat und erst kurz vor seinem Tod uraufgeführt worden. Den Erfolg seiner Oper konnte er nicht mehr miterleben, denn schon nach einem Jahr meldete Schikaneder die 100tste Aufführung der Zauberflöte. Das war kaum übertrieben, denn 83 Aufführungen sind bis November 1792 nachweisbar. Die Meinungen sind allerdings geteilt darüber, ob die Oper verstanden worden ist. Es stimmt, dass zu Ende des 18. Jahrhunderts ein wahrer Boom von "Zauberopern" [2] existierte. Im Zentrum einer Zauberoper steht meistens eine Liebesgeschichte, die allerlei Gefahren ausgesetzt ist und wo die Liebe schließlich siegt. Gleichzeitig als Zeichen des aufstrebenden Bürgertums, wird es gegen den Adel aufgewertet. Dieses Genre gehörte in Wien zu den populärsten Opern und hat auch den Stoff der Zauberflöte mit inspiriert. Die Zauberflöte geht allerdings weit über diese Inspirationsquelle hinaus und das stark dominierende humanistische Gedankengut erschwerte den Zugang zu dieser Oper.
Und doch bietet diese Oper in ihrer Vielschichtigkeit so viele Zugänge und Interpretationen, dass jeder auf seine Art sein Vergnügen darin finden konnte und immer noch kann, so dass sie heute zu den meistgespielten und -kommentierten Opern der Welt gehört. Jung- und Alt sind von dieser Oper fasziniert und selbst das völlig antiquarische (für heutige Ohren schockierende) Frauen- und Gesellschaftsbild tun diesem Umstand keinen Abbruch. Ingmar Bergman, der in den 70er Jahren für das schwedische Fernsehen die Zauberflöte verfilmt hat [3] , erinnerte in seinem Film den Zuschauer nicht nur ständig daran, dass er sich in einer Aufführung befindet - weder die Kulissen, noch das Orchester und das Publikum werden ausgespart, sondern erhob die Oper zu einem universalen Kunstwerk, das nicht nur von Alt und Jung, sondern auch unabhängig von sozialer, nationaler und ethnischer Herkunft genossen und verstanden werden kann.

Kurze Nebenbemerkung - außer dieser Ouvertüre eignet sich der Bergman-Film leider nur zum Schwedisch-Unterricht. Die ganze Oper wurde ins Schwedische übersetzt, die psychologische Interpretation Bergmans machte zudem aus der Oper ein Ehedrama - in dem die Grenze zwischen dem "verstorbenen« Vater Paminas und ihrem jetzigen Entführer Sarastro verwischt wurden. Die zahlreichen Dialoge in der Zauberflöte werden oft dazu benutzt, neue Sichtweisen mit einfließen zu lassen. Allein der Umstand, dass die Zauberflöte anders als andere Opern in viele Sprachen übersetzt worden ist, macht deutlich, dass der Sprache und der damit verbundenen Botschaft in dieser Oper eine wichtige Rolle zukommt.
Es existieren zahlreiche Interpretationen der Zauberflöte, die aber das Verständnis der Rätsel, sie aufgibt, nicht vereinfachen. Dies kommt daher, dass die Zauberflöte sich in ihrem Verlauf verkompliziert. Am Anfang glaubt man sich in einer dieser vielen Zauberopern und das Ende scheint voraussehbar. Der Prinz Tamino, der sich in das Bildnis der Prinzessin Pamina verliebt, verspricht ihrer Mutter, der Königin der Nacht, die Prinzessin aus den Händen des "Unholds" Sarastro zu befreien und zurückzubringen. Er bekommt Papageno als Helfer, um vermutlich mehrere Abenteuer zu bestehen, die Prinzessin heimzubringen und sie am Ende zu heiraten. Um den Erfolg zu sichern, erhalten beide Instrumente zur Unterstützung in gefährlichen Situationen, eine Zauberflöte und ein Glockenspiel, die beide die Eigenschaft haben, Feinde in Freunde zu verwandeln. Alles könnte also wie im Märchen enden: "Und wenn sie nicht gestorben sind, …"
Doch sobald Tamino vor dem Reich Sarastros steht, kommt alles anders. Seine Abenteuer stellen sich nun als Initiationsreise heraus. Tamino und mit ihm Pamina sind dazu bestimmt, die Herrschaft in Sarastros Sonnenreich zu übernehmen, sobald sie die Prüfungen bestanden haben. Der "Bösewicht" Sarastro stellt sich langsam als Herrscher der Vernunft heraus, die Königin der Nacht verwandelt sich vom Opfer zum Inbegriff der Irrationalität und des Machthungers. Die ursprüngliche Liebesgeschichte zwischen Tamino und Pamina wird zum Motor des Initiationsritus, der ihnen am Ende Weisheit und den Untergebenen Glück bringen soll. Also auch der einfach gestrickte Papageno soll von der Aktion profitieren. Er wechselte schließlich vom Untergebenen der Königin der Nacht zum Assistenten Taminos.
Viele Interpreten der Zauberflöte fragten sich, wie man diese Wende verstehen sollte, ob Goethe und Schikaneder nicht wussten, wie sie das Projekt zu Ende führen sollten und im Zweifel ihrer Eingebungen zwischen Märchenwelt und Freimaurerei in der Mitte ihre Pläne geändert haben. Daraus erstand die viel diskutierte Bruchtheorie. Man nahm an, dass die Oper zuerst von dem Märchen Lulu und die Zauberflöte inspiriert worden war und dann von den freimaurerischen Ideen, denen Mozart und Schikaneder anhingen. Von daher müsste der Wechsel unverständlich bleiben, weil beide nicht wussten, wo sie genau hinwollten.
Die heutige Deutung geht jedoch vielmehr dahin, dass diese Wende von Anfang an vorgesehen war, wie es teilweise aus Mozarts Aufzeichnungen und auch aus dem Umstand hervorgeht, dass die Oper nicht chronologisch konzipiert wurde, sondern Teile aus dem zweiten Akt vor der Fertigstellung des ersten schon vorlagen. Nicht nur Jan Assmann [4], auf den ich mich hier stütze, nimmt an, dass Mozart und Schikaneder ganz im aufklärerischen und politischen Sinne mancher Freimaurer mit ihrer Oper nicht nur die Helden Tamino und Pamina einer Initiation unterziehen wollten, sondern auch das Publikum. Dieses sollte ebenso wie Tamino in seinem Aberglauben und seinen Vorurteilen erschüttert und zum Licht der Weisheit und Vernunft geführt werden. Das Problematische an dem Unterfangen war nur, dass dieser Wechsel in der Oper viel zu schnell geht und damit mehr Verunsicherung als Läuterung bewirkt. Das Publikum hat einfach keine Zeit, dem Helden so schnell zu folgen, wenn es auch gerne akzeptiert, dass die Königin der Nacht plötzlich das Böse verkörpert. Aber sonst bleibt es wohl vielfach bei der gutausgehenden Liebesgeschichte der Prinzen und der Diener stehen. Damit sind die Ungereimtheiten noch nicht erschöpft, wie das nun folgende Kurzresümee zeigen wird.


Kurzresümee

Prinz Tamino, ein "japanischer Prinz" hat auf der Jagd in eine unbehauste Landschaft verirrt und wird von einer Schlange [5] verfolgt. Seine Herkunft kann man nur über die Bekleidung erraten, er soll mit einem "prächtigen japonischen Jagdkleide" bekleidet sein [6], später im Zwiegespräch mit Papageno erfährt man dass sein Vater "über viele Länder und Menschen herrscht". Dem Tode nahe, fällt er in Ohnmacht und wird von drei bewaffneten Damen gerettet, die das Monster mit ihren Lanzen erlegen. Sie handeln vermutlich auf Auftrag der Königin der Nacht, die einen Verbündeten braucht. Als er aufwacht und sich fragt, wo er ist, lernt er einen anderen Bediensteten der Königin der Nacht kennen, den Vogelfänger Papageno, von dem man nicht genau weiß, ob er nicht halb Vogel und halb Mensch ist. Als er sich damit brüstet, Tamino gerettet zu haben, erscheinen die drei Damen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Hiermit erscheint zum ersten Mal das Hauptthema der Oper: der Kampf der Wahrheit und Vernunft gegen Lügen und Aberglauben. Die drei Damen zeigen Tamino ein Bildnis von Pamina, in das er sich hals- über Kopf verliebt. Kurz darauf erscheint die Königin der Nacht, nächster Schock für Tamino, die sich in der Arie "Oh zittere nicht" als Opfer Sarastros darstellt. Tamino verspricht, Pamina zu befreien, er bekommt Papageno als Assistenten und beide jeweils eine Zauberflöte und ein Glockenspiel, die sie in den bevorstehenden Gefahren schützen sollen.

"Silber-Glöckchen, Zauberflöten, / Sind zu (eurem/unserm) Schutz vonnöthen."

Drei Knaben sollen sie auf dem Weg zu Sarastros Reich leiten.
Bis dahin scheint der Ablauf klar. Ab dann verändert sich die Situation. Nicht Tamino erscheint als erster bei Pamina, sondern Papageno, der nun umgekehrt Pamina anhand des Bildes identifiziert und nebenbei Monostatos und die Sklaven mit seinem Glockenspiel zu tanzen bringt. Parallel dazu erscheint Tamino von den drei Knaben vorbereitet ("Sey standhaft, duldsam, und verschwiegen!") vor den Pforten der drei Tempel des Ordens. Den der Weisheit darf er betreten und wird sofort von einem Priester befragt bzw. durchschaut ("Dich leitet Lieb und Tugend nicht, /weil Tod und Rache dich entzünden."). Er möchte immer noch Pamina finden, aber nun wird der Wunsch, zu den Eingeweihten zu gehören primär ("O ewige Nacht! Wann wirst du schwinden? /Wann wird das Licht mein Auge finden?"). Stück für Stück ändert sich die anfängliche Konstellation, die Königin der Nacht wird nun vom Opfer zur Intrigantin, alle ihre Verbündeten sind ihre Instrumente, dies erscheint am stärksten in der Szene, als sie Pamina den Dolch in die Hand drückt, damit sie Sarastro tötet und ihr den "siebenfachen Sonnenkreis" zurückholt:

"Du wirst ihn tödten, und den mächtigen Sonnenkreis mir überliefern."

Im Fortgang der Oper geht es um nichts weniger als um die Herrschaft über die Welt. Dies wird am Anfang des zweiten Aktes durch die Versammlung des Ordens ("eine der wichtigsten unserer Zeit") deutlich gemacht. Sarastro sagt folgendes zu den Versammelten:

"Jedoch, das böse Vorurtheil soll schwinden; und es wird schwinden, so bald Tamino selbst die Größe unserer schweren Kunst besitzen wird. — Pamina, das sanfte, tugendhafte Mädchen haben die Götter dem holden Jünglinge bestimmt; dies ist der Grundstein, warum ich sie der stolzen Mutter entriß. — Das Weib dünkt sich groß zu seyn; hoft durch Blendwerk und Aberglauben das Volk zu berücken, und unsern festen Tempelbau zu zerstören. Allein, das soll sie nicht; Tamino, der holde Jüngling selbst, soll ihn mit uns befestigen, und als Eingeweihter der Tugend Lohn, dem Laster aber Strafe seyn."

Um den Zuschauern die Bedeutung dieses unerwarteten Wandels klarzumachen, ertönen die drei Horn-akkorde, die man schon in der Ouvertüre gehört hat aber nun nachträglich anders versteht.
Sarastro verändert sich zunächst in unseren und dann in den Augen Taminos vom Bösewicht zum Vertreter des Reichs der Vernunft und der Weisheit, dem Tamino ebenso angehören möchte. Selbst als er das Mordkomplott aufdeckt, zeigt er seine Großmut, verschont Pamina und Monostatos und singt anschließend als Antwort auf die Rachearie der Königin der Nacht:

"In diesen heil’gen Hallen, /Kennt man die Rache nicht."

Die zu bestehenden Prüfungen sind nur noch vordergründig dazu bestimmt, Pamina wieder zu finden. Das Paar soll am Ende der bestandenen Prüfungen nicht nur zusammenfinden, sondern das Erbe Sarastros oder eher noch das des Ordens antreten. Den "Weibertücken" der Königin der Nacht, oder anders gesagt dem Aberglauben, den Lügen und niedrigen Motiven sollen die beiden Initianden widerstehen und sich insofern als würdig für die Herrschaft über das Paradis der Aufklärung erweisen. Die Figur des Papageno dient dazu, diese Initiation ironisch zu begleiten. Da er anfangs keine große Lust dazu entwickelt, wird er mit damit geködert, ebenfalls eine Partnerin zu finden. So kann er auf seine Art der Wahrheit ein Stück näher kommen. Ihm bleiben so die unteren Weihen beschieden, denn die höchsten Weihen sind nur den Herrschenden gegönnt. Aber Papageno ("Je nun, es giebt ja noch mehr Leute meines Gleichen. — Mir wäre jetzt ein gut Glas Wein das größte Vergnügen.") strebt nicht nach Höherem, sondern "nur" nach Lebensglück, und das soll ihm gegönnt sein. Allerdings gerät auch er an den Rand des Todes und muss wie Pamina von den Drei Knaben vom Selbstmord aus Verzweiflung abgehalten werden. Doch am Ende bestehen Tamino und Pamina die letzte Prüfung gemeinsam. Da gleichzeitig die Königin der Nacht samt ihrem Anhang zur Hölle fährt, die Bühne sich in eine Sonne verwandelt, können die beiden nun die Herrschaft über das Reich der Wahrheit und Vernunft antreten.
Genauso wie es die drei Knaben angekündigt haben, bevor sie Pamina vor dem Selbstmord abhielten:

"Bald prangt, den Morgen zu verkünden, 

Die Sonn’ auf goldner Bahn, —

Bald soll der finstre Irrwahn schwinden;
Bald siegt der weise Mann. —

O holde Ruhe, steig hernieder; 

Kehr in der Menschen Herzen wieder;

Dann ist die Erd’ ein Himmelreich, 

Und Sterbliche den Göttern gleich."

Dies wird im Schlusschor nur noch bestätigt:

"Heil sey euch Geweihten! Ihr drängt durch die Nacht, 

Dank sey dir, Osiris und Isis, gebracht!

Es siegte die Stärke, und krönet zum Lohn 

Die Schönheit und Weisheit mit ewiger Kron’."


Frauenbild

Auf den ersten Blick enthält die Zauberflöte jede Menge Material, dass man leicht dem patriarchalischen Weltbild des ausgehenden 18. Jahrhunderts zurechnen kann. Die Frau scheint vom Zeitalter der Aufklärung vergessen worden zu sein [7] und muss hier für alles Negative herhalten:
Der Priester zu Tamino

"Ein Weib hat also dich berückt? 

Ein Weib thut wenig, plaudert viel. 

Du Jüngling glaubst dem Zungenspiel?"

Oder das erste Zusammentreffen zwischen Papageno und Pamina:

Pamina. Liebe? (freudig) Er liebt mich also? O sage mir das noch ein Mahl, ich höre das Wort Liebe gar zu gerne.
Papag. Das glaube ich dir ohne zu schwören; bist ja ein Fräuleinbild. — Wo blieb ich denn?
Pamina. Bey der Liebe.

Später Sarastro zu Pamina, die gerade noch ihre Mutter um Hilfe angefleht hat:

"Ein Mann muß eure Herzen leiten. 

Denn ohne ihn pflegt jedes Weib

Aus ihrem Wirkungskreis zu schreiten."

Die Königin der Nacht wiederholt eine ähnliches Urteil, das sie aus dem Mund von Paminas sterbendem Vater hörte:

"Und nun kein Wort weiter; forsche nicht nach Wesen, die den weiblichen Geiste unbegreiflich sind. — Deine Pflicht ist, dich und deine Tochter, der Führung weiser Männer zu überlassen."

Aber auch noch am Schluss, als es um die neue Herrschaftsform, das Paradis auf Erden geht, singen die drei Knaben (wenn auch vielleicht unter Zwang des Reimschemas) :

"Bald prangt, den Morgen zu verkünden,

Die Sonn’ auf goldner Bahn, —

Bald soll der finstre Irrwahn schwinden;

Bald siegt der weise Mann."

Dies scheint alles sehr eindeutig, Frauen brauchen Führung, reden viel, tun wenig, verlieben sich schon, wenn man nur von Liebe spricht und stellen eine Gefahr für Männer und die ganze Welt dar. Wenn man sich allerdings an die Haupthematik der Oper erinnert, dann erscheint die Sache komplizierter. Es sei denn man verschärft, wie in manchen Aufführungen gesehen, das patriarchalische Weltbild, durch Hinzufügen von Text. So leitet Agnes Dessay in der Rolle der Königin der Nacht ihre Rachearie mit folgenderweise ein:

"Du, meine Tochter, könntest diesen Menschen lieben, der die Erniedrigung und die Verknechtung unseres Geschlechtes im Sinne hat, Nein Pamina!"

Doch kommen wir zurück zum Grundkonflikt: dialektisch gesehen kann man Sarastro und die Königin der Nacht als zwei sich bekämpfende Allegorien begreifen, als einen Konflikt, der in der Schlussszene durch die Verbindung von Tamino und Pamina aufgehoben bzw. in einen anderen Zustand überführt wird. Als Indiz dafür gilt z.B. dass auch Pamina eine Führungsrolle zugewiesen wird und ihre Prüfungen ungleich schwerer sind, weil sie im Gegensatz zu Tamino nicht Auflagen nicht kennt und kein Mittel hat, etwas in Erfahrung zu bringen (Schweigegebot Taminos). Sarastro erlaubt ihr nur, ihn zu sehen.
Die Zauberflöte geht in diesem Sinne über die Klischees ihrer Zeit hinaus, obwohl sie im traditionellen Mann-Frau Schema gefangen bleibt, wenn es um Rollenzuweisungen geht. Man würde ihr aber Unrecht antun, sie auf .
Zumindest deutet die letzte gemeinsam bestandene Feuerprobe auch andere Interpretationsmöglichkeiten an. Pamina "nimmt Tamino bei der Hand", sie sagt ihm, die Zauberflöte herauszunehmen und zu spielen. Die Geharnischten geben schon vorher ihr Urteil ab:

"Ein Weib, das Nacht und Tod nicht scheut, 

Ist würdig, und wird eingeweiht."

Dann singt Pamina:

"Ich werde aller Orten
An deiner Seite seyn. 

Ich selbsten führe dich;
Die Liebe leite mich!"
(nimmt ihn bey der Hand.)

Damit wird die autoritäre Sentenz Sarastros vom "Weib, dass die Leitung des Mannes braucht" explizit zurückgenommen und beide der allumfassenden (Menschen)Liebe unterstellt. Abgesehen von dieser differenzierteren Sichtweise des herrschenden patriarchalischen Weltbildes muss man allerdings festzuhalten: der Grundkonflikt der Oper ist nicht der Kampf der Geschlechter, sondern derjenige der Vernunft gegen die Verblendung, der Wahrheit gegen die Lüge, der Naturreligion der Freimaurer gegen den Wunder- und Offenbarungsglauben des Katholizismus.


Gesellschaftsbild

Als Einleitung zum Gesellschaftsbild mag folgendes Zitat (Pamina und Papageno) gelten:

"Die Wahrheit ist nicht immer gut,

Weil sie den Großen wehe thut; 

Doch wär sie allezeit verhaßt, 

So wär mein Leben mir zur Last."

Das ist eine Anspielung auf die Situation des Freimaurertums, das in den 80er Jahren in Österreich entweder stark reglementiert oder sogar verboten worden war. Zur Zeit der Konzeption der Zauberflöte gab es einen neuen Hoffnungsschimmer im aufgeklärten Absolutismus. Dass Streben nach Wahrheit kann aber auch für das Aufklärungszeitalter insgesamt gelten.
Man muss allerdings aufpassen, nicht zu viel in die Zauberflöte hineinzuinterpretieren, weder im negativen, wie im Frauenbild angedeutet, noch im positiven, dass man aus ihr eine Revolutionsoper macht. Sie steht ganz im Zeichen des aufgeklärten Absolutismus. Die Freimaurer, selbst in ihrer politischen Ausrichtung, vertreten ein Stufenmodell der Gesellschaft, dass auch die in der Zauberflöte vorgestellten Intitiationsriten bestimmt: hohe Initiation ist den Herrschenden vorbehalten, oder denen, die zum Herrschen bestimmt sind wie Tamino und Pamina. Das Volk in der Gestalt von Papageno wird einfacheren Prüfungen ausgesetzt, ihm wird aber ganz jakobinisch ein Glücksanspruch zugestanden. Ansonsten verhält es sich, wie Eckhard Henscheid im Nachwort zu Prinz Tamino5 schreibt: Adlige teilen nicht die Anfangsbuchstaben ihrer Namen, einfache Leute schon, und Sklaven und sonstige Außenseiter erkennt man schon an ihren Namen wie Monostatos.6 Aber selbst hier muss man der Zauberflöte einen gewissen Humanismus zugestehen. Schwarze, oder Mohren, wie man sie zu dieser Zeit nannte, tauchen in den Opern nur auf, damit man laut über sie lachen kann, genauso wie über Papagenos Stottern. Schikaneders und Mozarts Mohr hat aber einen Anspruch darauf, ein Mensch zu sein und Gefühle zu haben. Das war Ende des 18. Jahrhunderts noch nicht selbstverständlich.

Aber wie schon gesagt, es bleibt eben bei dem Wohlwollen und der Gnade der Herrschenden, die sie ganz souverän entweder zugestehen oder zurückziehen. Das Volk wird nicht aus seiner Abhängigenposition entlassen, soll aber soweit aufgeklärt werden, dass es sich nicht mehr vom Aberglauben, sondern von Vernunftsprinzipien leiten lässt. Die soziale Schichtung bleibt im Hintergrund des Geschehens oder wird aber teilweise aufgebrochen. Die Bedeutung Papagenos in der Oper lässt sich nicht nur darauf zurückführen, dass die Rolle für Schikaneder selbst vorgesehen war bzw. sich als rein populäre Lachnummer reduzieren. Hier sollte auch jemand aus dem niederen Volk, obwohl er nicht für das Bestehen der Prüfungen geeignet ist, in den Stand der Eingeweihten aufgenommen werden. Wenn nicht jeder dem Adel zugehören kann, so kann er zumindest in den Vorhof der Wahrheit gelangen, bzw. dem Aberglauben entgehen. Dies wird dadurch deutlich, dass Papageno das Lager wechselt, vom Bediensteten der Königin der Nacht zum Assistenten des zukünftigen Priesters und Herrschers Tamino. Schwerpunkt der Oper bleibt also der Kampf gegen den Aberglauben und das Blendwerk, verkörpert durch die Königin der Nacht. Der Deutungsspielraum ist damit aber längst nicht ausgeschöpft. Schon zu ihrer Zeit wurde sie sowohl im jakobinischen Sinn als Kampf gegen die Aristokratie und das Ancien Regime, als auch im antijakobinischen Sinn als Wiederherstellung der legitimen von höheren Kräften gewollten Herrschaft.


[1Die kritische Online-Ausgabe mit Partitur und Anmerkungen gibt es hier, das von der Universität Stanford veröffentlichte Originallibretto von Schikaneder befindet sich druckbar im Anhang

[2nach dem Vorbilde der französischen "opéra comique" oder der italienischen "opera buffa"

[3Ingmar Bergman, Trollflojten, 1975 - DVD -

[4Jan Assmann, Die Zauberflöte, Oper und Mysterium, Hanser Verlag, 2005

[5Bergman machte daraus einen Drachen

[6aus einem auf dem Internet veröffentlichten libretto In einem späteren auf internetloge.de veröffentlichten Textbuch ist von einem "griechischen Gewand" die Rede. Alle folgenden Zitate aus der Zauberflöte stammen, wenn nicht anders gekennzeichnet aus dem von

[7nicht nur vom Zeitalter der Aufklärung, wie Silvia Bovenschen eindrücklich die reale Geschichtslosigkeit der Frauen im Vergleich zu den unzähligen zirkulierenden Frauenbildern nachweist. S. Imaginierte Weiblichkeit, Frankfurt 1979