Das Gute liegt nah

Deutsche Studenten zieht es zum Studium in die Niederlande. Dort finden sie, was sie in Deutschland vermissen – intensive Betreuung und Ruhe zum Lernen. Ein enormer Verlust für die deutschen Hochschulen


Beliebtes Ziel fürs Auslandsstudium: Die Niederlande haben mehr zu bieten als Tulpenfelder

Sophie Hinger ist eine Studentin, wie sie sich jede deutsche Universität wünscht. Sie hat ein Highschool-Jahr in den USA verbracht, trotzdem noch einen Einser-Schnitt im Abi hingelegt, danach ein freiwilliges soziales Jahr gemacht und Flüchtlinge betreut. Jetzt studiert die 20 Jahre alte Berlinerin internationale Beziehungen, und wenn man sie in einem Seminar über Globalisierung diskutieren hört, weiß man: Da sitzt keine jugendlich-naive Weltverbesserin, sondern eine, die die richtigen Fragen stellt und bereit ist, für ihre Ziele hart zu arbeiten.

Womöglich ist genau das der Grund, warum sie sich gegen ein Studium an einer deutschen Universität entschieden hat. Sie sagt: »Dieser Massenbetrieb ist nichts für mich. Ich wollte an einem Ort studieren, an dem es einen echten Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden gibt.« Am Ende ihrer Suche ist Sophie nicht etwa in Oxford oder in Berkeley gelandet – sondern in der niederländischen Provinz.

Maastricht, die südlichste Stadt der Niederlande, hat in den vergangenen Jahren einen enormen Zustrom hoch motivierter deutscher Studenten erlebt. Mittlerweile ist jeder dritte Studienanfänger deutsch, und Universitätspräsident Jo Ritzen zufolge finden sich die Deutschen fast durchweg in der Leistungsspitze der Hochschule wieder.

Dabei ist die Universität im Dreiländereck zwischen Belgien und Deutschland keineswegs ein spektakulärer Einzelfall, sondern Ausdruck einer überraschenden Entwicklung: Die Niederlande haben sich zum Zielland Nummer eins deutscher Studenten aufgeschwungen, noch vor den USA, Frankreich und Großbritannien. Etwa 12000 Deutsche studieren in dem kleinen Land im Westen – und zwar in Vollzeit. Die Tausenden von Austauschstudenten, die mit einem Erasmus-Stipendium für ein, zwei Semester ins Land strömen, sind in dieser Statistik noch nicht miteingerechnet.

Sie alle bekommen ungewohnte Worte aus dem Munde eines Uni-Präsidenten zu hören. »Wir freuen uns über jeden deutschen Studenten, der zu uns kommen mag. Jeder von ihnen trägt zur kreativen und internationalen Atmosphäre unserer Hochschule bei«, sagt Jo Ritzen. Anstatt sich wie ihre deutsche Konkurrenz mit der Verwaltung des Mangels zu beschäftigen, mieten staatliche niederländische Universitäten Stände auf deutschen Abi-Messen und finanzieren professionelle Internetkampagnen, mit denen sie noch mehr deutsche Erstsemester abwerben.

Sie locken auch damit, dass es in den Niederlanden keinen Numerus clausus gibt, dass sich jeder an seiner Wunsch-Uni einschreiben darf. So ist die Zahl der deutschen Psychologiestudenten, die zu Hause keinen Studienplatz abbekommen haben, auffällig hoch. Warum die Niederlande trotzdem vor allem die leistungsstärksten Abiturienten anziehen, liegt auf der Hand: Sie sind diejenigen, die am meisten unter den Zuständen an den deutschen Massen-Unis leiden – und gleichzeitig bereit sind, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Ein enormer Verlust für die deutschen Hochschulen.

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